Wäre es nicht schön, wir hätten ein Rezept für gelingende Kommunikation an der Hand? Etwas, das wir bei allen Arten von Konflikten oder Diskussionen einsetzen könnten?
So ein kleines Handbuch der zwischenmenschlichen Kommunikation. Das wir immer bei uns tragen könnten. Darin könnten wir einfach nachschlagen, etwa unter: Wie sage ich meiner Kollegin, dass ihr Parfumduft mich stört? Oder: Wie kann ich mit meiner Schwiegertochter über die Ernährung der Enkel sprechen? Und schon hätten wir den passenden Satz, das perfekte Wort auf den Lippen.
Elisabeth Lukas (1942), Psychotherapeutin und klinische Psychologin ist eine der namhaftesten Schülerinnen von Viktor E. Frankl, Begründer der der sinnzentrierten Psychotherapie, der sogenannten Logotherapie. Sie leitete über 30 Jahre das Süddeutsche Institut für Logotherapie in Fürstenfeldbrück.
In der Therapie und im Coaching fragen Menschen oft nach einer Technik oder einem Kniff für bessere Kommunikation. Und natürlich gibt es da jede Menge. Die Zahl der Kommunikationsmodelle ist schier unübersehbar und jedes Modell oder jede Theorie bringt eigene Techniken mit sich, wie die Theorie der selbstreferenziellen Systeme von Niklas Luhmann, die konstruktivistische Kommunikationstheorie nach Paul Watzlawick, das Nachrichtenquadrat von Friedemann Schulz von Thun oder die innere Kommunikation nach Virginia Satir.
Doch letzten Endes ist es nicht die Technik, die eine gute Kommunikation ausmacht. Entscheidend ist vielmehr der Geist, die Haltung in dem ein Gespräch geführt wird.
Elisabeth Lukas, Schülerin von Viktor E. Frankl (1905-1997), hat in ihrem „Lehrbuch der Logotherapie“ auf der Grundlage ihrer Erfahrung und ihres psychotherapeutischen Alltags vier Elemente eines Gesprächsstils herausgearbeitet, die sie als zentral für eine gelingende Kommunikation erachtet. Sie nennt diesen Gesprächsstil eine „Rhetorik der Liebe“.
Dabei hat sie nicht nur das Gespräch zwischen Patienten und Therapeuten im Auge. Sie hofft vielmehr, dass ihre Rhetorik der Liebe “im täglichen Gekrisel zwischen Eheleuten, Kollegen, Generationen oder gar Volksgruppen von besonderer Heilkraft sein könne(n)“.
Element Nr. 1: Die Person aufwerten
Elisabeth Lukas erinnert daran, dass wir im Gespräch stets die zwei Positiva unseres Gesprächspartners im Auge behalten sollten: Zum einen das, was sich aktuell im Hier und Jetzt an guten Seiten zeigt und zum anderen die im Gesprächspartner schlummernden Entfaltungsmöglichkeiten. Diese beiden Positiva sollten im Gespräch immer wieder Resonanz erfahren. Für den Gesprächsstil bedeutet das nicht nur ein Nicht werten unseres Gegenübers, sondern ein gezieltes Aufwerten der Person!
Dieser Gedanke basiert auf der Annahme der Logotherapie, dass jeder Mensch mehr ist als seine Störung, mehr als seine Krankheit und viel mehr als die Summe seiner Schatten aus der Vergangenheit. Daher ist es auch aus logotherapeutischer Sicht stets geboten, an dieses Mehr einer Person zu appellieren. Im Gespräch können wir das tun durch das Aufwerten der Person.
Elisabeth Lukas macht das an einem Beispiel fest. Sie berichtet von einer Frau, die in ihre Praxis kam und seufzte: „Was habe ich in meinem Leben alles schlecht gemacht.“ Die Frau war sehr abgekämpft und müde.
Darauf antwortete Lukas: „In ihrem ‚jugendlichen Alter‘ haben Sie bestimmt noch eine Menge Zeit daraus zu lernen und in Zukunft viel klüger zu handeln“.
Die Frau lächelte. Die Anspielung auf das ‚jugendliche Alter‘ hatte ihr wohl gefallen. Dann sagte sie: „Das würde ich gern“. Und fügte nachdenklich hinzu: „Dann wäre es halt Lehrgeld, das ich gezahlt habe, nicht wahr? So gesehen, könnte ich meine Fehler akzeptieren“.
Das Aufwerten unseres Gesprächspartners bedarf – will es nicht in „billige Komplimenten“ ausarten – einer Haltung des Beim-Anderen-Sein und lässt sich durch das Einbringen der Intuition einüben.
Element Nr. 2: Zur Klarheit beitragen
Manchmal ist mehr Klarheit vonnöten, um einen gelingenden Austausch zu erfahren. Nach Lukas kann Erkenntnis oder Einsicht beim Gegenüber in Gang kommen, wenn dem Anderen inhaltliches Material geboten wird.
Das muss nicht in Form eines direkten Ratschlags geschehen. Vielmehr zielt Lukas auf eine Vorgehensweise, die an der philosophischen Praxis angelehnt ist.
Sie zitiert das Beispiel eines an einer existentiellen Sinnkrise leidenden Journalisten, der eines Tages Viktor E. Frankl aufsuchte. Er hatte über viele Terroranschläge berichtet und ihn quälte die Sinnfrage. Viktor E. Frankl sagte ihm ungefähr folgendes:
„Junger Freund, fragen Sie nicht, welchen Sinn das Leben haben könnte, denn das ist die falsche Frage, und auf falsche Fragen bekommen sie nur falsche Antworten. …
Das Leben selbst befragt uns, und zwar tagtäglich, ja stündlich – und wir sind es, die dem Leben antworten müssen. Mit anderen Worten: Grübeln wir nicht, versuchen wir auf keinen Fall, im rätselhaften Phänomen, das wir ‚Leben‘ nennen, einen Sinn zu entdecken, wir begeben uns damit in einen Irrgarten. Erfüllen wir vielmehr die Aufgaben, die jedem einzelnen das Leben stellt…“
Frankl verzichtete darauf, dem Journalisten zu erklären, wie er aus der Krise herauskommen könnte, stattdessen stellte er das Anliegen in einen größeren geistigen Zusammenhang und hielt dem Journalisten eine andere Sicht auf die Fragestellung hin.
Mehr Klarheit erhält unser Gesprächspartner auch, wenn wir vorschnelle Interpretationen bremsen bzw. diese hinterfragen oder Widersprüche aufdecken. Dabei hilft die einfache Aufforderung: „Hilf mir, Dich zu verstehen oder „Erkläre es mir“, um dem anderen den Raum für die eigenen Klarheit zu geben.
Element Nr.3: Mit Alternativen spielen
Mit diesem Gesprächselement erweitern wir Denk- und Handlungsraum unseres Gegenübers, auch den eigenen.
Elisabeth Lukas bringt hier folgendes Beispiel aus ihrer Praxis.
Eine Frau beschwerte sich über ihren Ehemann. Gerade neulich sei er nachmittgas in die Küche hineingeplatzt, wo sie gerade mit ihrer Tochter bei Kaffee und Kuchen gesessen habe. Er habe sich über den Haufen Wäsche in der Diele und die schmutzigen Schuhe beschwert. „Er hat mich so provoziert, dass ich ihm vor Wut einen Teller ins Gesicht schleudern musste!“
Lukas fragte darauf: „Sie mussten …?“
„Wie sollte ich mich denn sonst wehren? Mit seinem Gebrüll zwingt er mich, ebenfalls aggressiv zu werden!“
Lukas: „Er zwingt Sie …?“
Dann lud Lukas die Patientin ein, die Phantasie ein wenig spielen zu lassen. Sie sammelte abwechselnd mit ihr alle erdenklichen Reaktionen auf ihren brüllenden Ehemann. Auf diese Weise konnte die Ehefrau – quasi als Trockenübung – alternative Reaktionen durchspielen.
Das Spielen mit Alternativen setzt vor allem auf die Macht unserer Vorstellungskraft. Durch ihre Hilfe, können mögliche andere Verhaltens- und Denkweisen durchgespielt und ihre Umsetzung angebahnt werden.
Element Nr. 4: Dem Sinn nachspüren
Um dem Sinn nachzuspüren, also dem, was Menschen gerade abverlangt oder aufgetragen sein könnte, ist es hilfreich, sich mit der inneren Stimme des Gegenübers zu verbinden.
Elisabeth Lukas erzählt von einer Mutter, die sie in ihrer Praxis wegen starker Erschöpfung aufgesuchte. Sie hatte einen behinderten, erwachsenen Sohn, für den sie jedes Opfer auf sich nahm. Wenn er im Bett nach einem Getränk schrie, eilte sie herbei und brachte es ihm umgehend. Sie war völlig erschöpft und ausgelaugt.
Lukas lobte ihre Haltung. Dann fragte sie sie nach dem wofür ihrer Opferbereitschaft: Was wollte Sie bei ihrem Sohn fördern? Eigenständigkeit oder Resignation? Soziale Kompetenz oder Isolation?
Die Frau verstand sofort und weinte. „Warum verwöhnen Sie ihn?“ Fragte Lukas weiter. Die Frau antwortete: „Weil er mir so leid tut. Weil er sowieso benachteiligt ist“.
Lukas
widersprach und gab zu Bedenken, dass er wie jeder andere auch, seinen
Platz in der Welt finden muss. Auch brauche er eine Mutter, die ihn
dabei unterstütze. Eine Mutter, die an seine Vorteile glaube, nicht an
seine Nachteile. Nach weiteren Sitzungen stellten sie eine Liste zusammen mit ‚sinnvollen Opfern‘, wie die Notwendigkeit der Mutter, den Frust des heulenden Sohnes tapfer auszuhalten und sich konsequent zurückzuhalten.
Schon nach der fünften Sitzung holte sich der Sohn seine Getränke selbst. Er suchte sich sogar einen Aushilfsjob, um sein Taschengeld aufzubessern. Er schöpfte, so Lukas, „sein kreatives Potential“ mehr aus.
So simpel und leicht die Gesprächsbeispiele aus der Praxis erscheinen, so schwierig ist es, sie konkret im Gespräch umzusetzen. Die vier Elemente, die Person aufwerten, für Klarheit sorgen, mit Alternativen spielen und dem Sinn nachspüren, lassen sich im Alltag auch nicht so fein säuberlich voneinander trennen, stattdessen fließen sie ineinander über. Dennoch lohnt es sich, die Rhetorik der Liebe zu üben. Jeden Tag, immer wieder neu. Denn überall dort, wo wir liebevoll miteinander kommunizieren, entlocken wir das Beste unseres Gegenübers (Person aufwerten), sprechen klar und schaffen Klarheit (zur Klarheit beitragen), eröffnen neue Freiräume des Handelns und Denkens (mit Alternativen spielen) und erleben im Gespräch das gemeinsame Abenteuer der Sinnsuche (dem Sinn nachspüren).