Buchtitel

von Anja Maria Franz-Röhrig

Christian Uhle verbindet Philosophie mit Gesellschaftsanalyse und einem entspannten Plädoyer für eine sinnerfülltere Welt.

Wozu das alles?

Noch früh am Morgen, wir stehen an der Bushaltestelle auf dem Weg zur Arbeit und da blitzt sie auf einmal auf, die Frage: „Wozu das alles?“ Ganz kurz nur, vielleicht auch nicht in dieser Deutlichkeit, aber da ist sie im Hinterkopf und auf einmal setzt ein leiser Zweifel ein.

Vom leisen Zweifel zur Sinnkrise
Jeder kennt solche Momente. Dieses diffuse Gefühl, wenn wir die Verbindung zu den Menschen und den Dingen um uns herum verlieren: Ein verpasster Abschied, eine unbeantwortete Mail, eine lange Zugreise − urplötzlich fällt der Zweifel uns an, doch wir schieben ihn beiseite.
Statt zu grübeln, verschicken wir hektisch Nachrichten, suchen nach Kaugummi, ordnen die Haare und machen einfach weiter. Und das ist sicherlich gut so. Denn folgten wir konsequent unseren Zweifeln, würden wir womöglich auf dem Absatz umdrehen, uns krankmelden oder mit viel Dramatik ein Ticket nach Mexiko buchen. Nix wie weg. Also lieber nicht weiterdenken! Oder doch?

Christian Uhle (1988) tut genau das. Schließlich ist er Philosoph. Er macht den leisen Zweifel im Alltag zum Ausgangspunkt seiner philosophischen Reise zum Sinn des Lebens und zeigt uns, dass es noch eine andere Alternative gibt, als ein Ticket nach Mexiko zu buchen. Wir können uns stark machen, für den Sinn im Leben. Hierzu nimmt er Soziologie und Psychologie mit ins Boot, um nichts Geringeres als eine moderne Sinntheorie zu entwerfen.

Herausgekommen ist ein 448 Seiten starkes Vademecum für den modernen Sinnsucher. Im Plauderton fast, als wäre es ein Skript für die arte-Serie „street philosophy“, für die Uhle tätig war, führt er den Leser durch die Sinnlandschaft der Moderne. Smart, zuweilen witzig und dennoch immer wissenschaftlich nüchtern philosophierend. Kein (Denk-)weg ist ihm zu weit, keine Fragestellung zu komplex.
Schließlich geht es Uhle nicht um schnelle Antworten (auch wenn er zuweilen durchaus welche gibt), sondern um neue Orientierungspunkte für eine bessere bzw. sinnerfülltere Welt.

Das ist hochgepeilt. Das Cover unterstreicht den großen Wurf. Am unteren, linken Bildrand sehen wir einen jungen Mann. So wie er dasteht erinnert er an den kleinen Prinzen von Antoine de Saint-Exupéry. Hände in den Taschen, Kopf leicht zurückgelehnt, blickt er hinauf in Richtung Sonne. Darüber steht in schwarzen Lettern die Frage: „Wozu das alles?“

Der Sinn offenbart sich im Dazwischen
Ausgangspunkt von Christian Uhles Reise zum Sinn ist der Augenblick des Zweifels, wenn wir uns fragen: „Wozu das alles?“ Von dort startet seine Reise, um möglichst viele Sinnräume zu durchstreifen, von denen ich hier stellvertretend zwei erwähnen möchte: die Nächstenliebe und die Arbeit.

Die großen Sinnquellen sind nämlich direkt vor unserer Nase, in der Gestalt von Agape. So nannten die Griechen die Liebe zum Mitmenschen. Dieser Sinn ist echt und hier. Er ist jederzeit verfügbar. „Sinn“, so Uhle,“ entsteht durch Beziehungen; ist nicht in dir oder in mir, sondern zwischen uns.“ In diesem Dazwischen steckt Sinn.

Wer den Sinn in irgendwelchen metaphysischen Höhen sucht, den holt Christian Uhle gezielt auf die Erde zurück. Die vermeintlich höheren, objektiven Werten wie das „Wahre“, „Gute“ oder „Schöne“ lassen sich allesamt für andere Zwecke missbrauchen (man denke nur an Kriegs-Propaganda). Sie liefern mächtige Endzwecke, die Menschen motivieren für eine höhere Sache zu töten und zu sterben. Dies ist die Schattenseite des Sinns.

Arbeitsplätze mit Sinn zu schaffen ist eine gesellschaftliche Herausforderung
Neben Agape, macht Christian Uhle noch ein weiteres, wichtiges Sinnfeld für uns Menschen aus: die Arbeit. Er kennt sich hier gut aus, hat selbst in dem Zusammenhang als Wissenschaftler geforscht. Und er gibt auch konkret Hilfestellung, vor allem für Menschen, die in sogenannten „Bullshit-Jobs“ wertvolle Lebenszeit verplempern. Jobs, die keiner braucht und die sinnlos sind. Viele fragen sich dann oft, ob mit Ihnen selbst etwas nicht stimmt, suchen nach neuen Strategien oder Auswegen (Sabbatical, Kur, Retreat etc.). Die Spirale der Selbstoptimierung kommt in Gang: Achtsamkeitskurse, Yoga und Heldenreisen sollen ein besseres, kreativeres Selbst hervorbringen und hinterlassen doch allzu oft nur erschöpfte Menschen.
Zu erkennen, dass es eher strukturelle Gründe sind, die für die Sinnlosigkeit am Arbeitsplatz verantwortlich sind, „kann schon ein erster Schritt sein, die eigene Suche selbstbestimmter und gelingender zu gestalten“.
Doch Uhle macht auch klar, dass nicht der Einzelne allein die Arbeit neu erfinden kann, sondern dass dies eine „gesellschaftliche Herausforderung“ ist.

Segeln als Metapher für unsere Beziehung mit der Welt
Eine Haltung ist jedoch für jegliche Sinnerfahrung entscheidend. Das macht Christian Uhle klar. Er nennt sie das „segelnde Weltverhältnis“. Eine Metapher für eine offenere und weniger beherrschende Haltung der Welt gegenüber. Die Einübung in diese Haltung, so hofft Uhle, ist notwendig, für die persönlichen Erfahrung von Weltverbundenheit und das Überleben unserer Spezies.

Am Ende von Christian Uhles philosophischer Reise wissen wir, weshalb sie so wichtig ist, die Frage: „Wozu das alles?“ Sie ist der Startpunkt zur Veränderung.
Wir tun also gut daran, sie hin und wieder ins Zentrum unseres Bewusstseins zu stellen.
Viktor E. Frank hätte wohl gesagt: Das Leben stellt die Fragen (und nicht wir befragen das Leben). Schieben wir den Zweifel beiseite, verpassen wir die Gelegenheit, diese Frage zu beantworten und damit verpassen wir, so Frankl, unsere individuelle Möglichkeit zum Sinn.
Wer bereit ist, mit Christian Uhle auf diese Reise zu gehen, kann sich keinen besseren Cicerone zum Sinn des Lebens wünschen.
Anja Maria Franz-Röhrig

Für wen?
Ein Schmöker für Menschen, die tief in die Materie einsteigen wollen ohne philosophische Vorkenntnisse, haben zu müssen.
Ein Buch für unkonventionelle Denker, die keine Angst vor mäandernden Gedankengängen haben. Für Liebhaber des gründlichen Denkens, des Tiefschürfens und Vollausleuchtens.

Wie sollte das Buch gelesen werden?
„Wozu das alles?“ ist kein Buch, dass man kurz vor dem Einschlafen lesen sollte. Am besten liest es sich abwechselnd allein und in der Gruppe.
Es ist in meinen Augen das perfekte Buch für einen ambitionierten Buchclub! Da steckt genug Stoff für viele Diskussionsrunden.