Weihnachten ist ein Fest des Wünschens. Wir wünschen uns materielle Dinge oder wir wünschen uns Stille, Frieden oder Glück. Wir äußern unsere Wünsche, in der Hoffnung auf Erfüllung. Manchmal ausdrücklich und laut, manchmal still , in Gedanken oder im Gebet. Doch darüber hinaus beschäftigen wir uns wenig mit unseren Wünschen. Als wären sie flüchtig und ohne Substanz. Sie erfüllen sich oder nicht.
So ähnlich erging es wohl Marietta Freiin von Nordeck zu Rabenau (1886-1960), als sie dem Dichter Rainer Maria Rilke von ihrem Wunsch berichtete, in Paris Geigenunterricht zu nehmen. Der Wunsch ging nicht in Erfüllung. Dafür erhielt sie am 14. April 1910 aus Rom einen Brief von Rilke: Gleich in den ersten Sätzen erklärt er, dass Wünsche ernst genommen werden müssen, wenn sie Wirklichkeit werden sollen. Daher solle die Freiin ihre Wünsche nicht mit dem „Geräusch der Geselligkeit …übertönen“, sondern ihre Wünsche wachsen lassen, damit sie „stärker und stärker“ werden. Und dann geht er noch einen Schritt weiter.
„Mir geht es oft so, dass ich mich frage, ob die Erfüllung eigentlich etwas mit Wünschen zu tun hat. Ja, solang der Wunsch schwach ist, ist er wie eine Hälfte und braucht das Erfülltwerden wie eine zweite Hälfte, um etwas Selbstständiges zu sein.“
Rilke hat hier offenbar ein Wünschen im Blick, das jenseits materieller Wunschzettel – eine ganz andere Kraft im Leben entfalten kann. Er schreibt weiter:
„Aber Wünsche können so wunderbar zu etwas Ganzem, Vollem, Heilem anwachsen, das sich gar nicht mehr ergänzen lässt, das nur noch aus sich heraus zunimmt und sich formt und füllt. Manchmal könnte man meinen, dies gerade, wäre die Ursache der Größe und Intensität des Lebens gewessen, dass es sich mit zu großen Wünschen einließ, die von innen wie ein Ressort Aktion auf Aktion, Wirkung nach Wirkung ins Leben hinaustrieben, die kaum mehr wussten, woraus sie ursprünglich gespannt waren, und nur noch elementar, wie starkes, fallendes Wasser sich in Handlung und Herzlichkeit, in unmittelbares Dasein, in frohen Mut umsetzten, je nachdem das Geschehen, und die Gelegenheit sie einschaltete“.
Rilke spricht hier weniger vom sogenannten „wishful thinking“, dass sich die Erfüllung durch wiederholtes Wünschen erträumt. Sein Wünschen erwächst aus dem Leben selbst. Es bewegt sich wie fallendes Wasser über alle Hindernisse hinweg und füllt das Leben mit „Handlung und Herzlichkeit“.
Ich möchte Dich einladen, über Rilkes Worte einmal nachzudenken. Von welche Art von Wünschen spricht er hier?
Um Dir dann folgende Fragen zu stellen:
- Welcher Art sind meine Wünsche?
- Lasse ich sie zu etwas Heilem wachsen?
- Wo erkenne ich, dass sie sich bereits „in unmittelbares Dasein“ umsetzen?


